12. Juli 2023 / Aus aller Welt

Debatte um «Bonusloch»: Empörung im britischen «Kulturkrieg»

In Großbritannien verschärfen konservative Kräfte einen «Kulturkrieg» gegen alles, was ihnen zu liberal ist. Jüngste Aufreger betreffen die Debatte um Genderidentität. Schrille Töne - doch was steckt dahinter?

In Großbritannien tobt ein zunehmend schriller «Kulturkrieg» und eine Debatte um Zensur und Meinungsfreiheit.
von Benedikt von Imhoff, dpa

Es ist ein kleines Wort, doch die Empörung ist groß. «Bonusloch» - «bonus hole» - solle das weibliche Geschlechtsorgan künftig genannt werden, um Transmänner oder nicht-binäre Personen nicht vor den Kopf zu stoßen, zitierten britische Blätter eine Wohltätigkeitsorganisation. Alternativ sei auch «front hole» möglich, also «Vorderloch». Die politische Überkorrektheit habe einmal mehr zugeschlagen, hieß es in Kommentaren. Die Aufregung fügt sich nahtlos ein in einen zunehmend schriller geführten «Kulturkrieg».

«Bonusloch» statt «Vagina»?

Der als frauenfeindlich kritisierte Ausdruck steht seit 2020 im Netz. «Bonusloch - ein alternatives Wort für die Vagina. Es ist wichtig zu prüfen, welche Wörter jemand am liebsten verwenden würde», schreibt die Wohltätigkeitsorganisation Joy's Trust in einem Glossar, das sich an Ärzte und Pflegekräfte wendet, die Transmänner oder nicht-binäre Personen unterstützen. Als Transmenschen oder Transgender werden Menschen bezeichnet, die sich dem Geschlecht, das ihnen bei Geburt zugeschrieben wurde, nicht zugehörig fühlen. Nicht-binäre Menschen ordnen sich nicht oder nur teilweise in die Kategorie Frau oder Mann ein.

Von einer Forderung, das eine Wort anstelle des anderen zu verwenden, ist im Glossar keine Rede. Vielmehr macht Joy's Trust deutlich: «Die richtige Sprache zu verwenden, wenn man sich auf die geschlechtliche Identität einer Person bezieht, ist eine einfache und wirksame Möglichkeit, Unterstützung und Anerkennung zu zeigen.» Aktivisten betonten, es handele sich um einen Hinweis einer einzelnen Organisation, der einen kleinen Teil der Bevölkerung betreffe.

Doch konservative Kommentatoren reagierten empört. «Das Wort «Vagina» ist jetzt so beleidigend, dass wir den Begriff «Bonusloch» verwenden müssen», schäumte die Kolumnistin Annabelle Sanderson in der Zeitung «Daily Express». Die «Daily Mail» ätzte: «Ist «Bonusloch» der bisher verrückteste Euphemismus in der Transdebatte?»

Eine Schülerin identifiziert sich als Katze?

Erst kurz zuvor hatte ein ähnlich bizarrer Fall für Wirbel gesorgt: Angeblich identifizierte sich eine Schülerin als Katze. Auslöser war ein Tiktok-Mitschnitt. Darin war zu hören, wie zwei Mädchen mit ihrer Sozialkunde-Lehrerin über Geschlechterfragen stritten. Eine der beiden 13-Jährigen hatte offenbar eine Mitschülerin gefragt, wie sie sich als Katze identifizieren könne, wenn sie doch ein Mädchen sei. Im Gespräch betonten die Schülerinnen, es gebe nur zwei Geschlechter. Die Lehrerin nannte diese Ansicht «abscheulich».

Obwohl die Schule rasch betonte, es gebe keine Schülerin, die sich «als Katze oder als irgendein anderes Tier» identifiziere, sprang die konservative Regierung auf die Empörungswelle auf. In einem Brief forderte Gleichstellungsministerin Kemi Badenoch die Schulaufsicht Ofsted zu einer Untersuchung auf. Indem umstrittene politische Überzeugungen ohne wissenschaftliche Grundlage als Tatsachen gelehrt worden seien, habe die Lehrerin gegen die politische Unparteilichkeit verstoßen, schrieb Badenoch und ging auch auf die Katzen-Saga ein.

Kritik an der Regierung

Geoff Barton von der Lehrergewerkschaft Association of School and College Leaders nannte Badenochs Eingreifen «unnötig, wenig hilfreich», mit einem «Beigeschmack von Überheblichkeit». Die Aktivistin Natasha Devon kritisierte, der Fall werde aufgebauscht. Die konservative Regierung wolle jungen transsexuellen Menschen die Legitimität absprechen. Dazu gehören auch Pläne, denen zufolge reine Mädchen- und Jungenschulen künftig Transschüler ablehnen dürfen, ohne juristische Folgen fürchten zu müssen. Kritiker werfen Premierminister Rishi Sunak vor, er nutze die emotionale Debatte um Gender-Identifizierung politisch aus.

Konservative wollen «Kulturkampf»

Prominente konservative Politiker räumen ein, dass ihre Partei nur noch wenige Pfeile im Köcher hat. In Umfragen liegen die Tories weit hinter der sozialdemokratischen Labour-Partei. Bei der für 2024 geplanten Parlamentswahl solle sich die Tory-Kampagne auf «eine Mischung von Kulturkriegen und Transdebatte» konzentrieren, sagte Vize-Generalsekretär Lee Anderson vor kurzem. Erfolgversprechende «Zutaten» wie 2019 gebe es nun mal nicht mehr. «Die Tories müssen den Kulturkampf kämpfen - oder sterben», kommentierte der Kolumnist Tim Stanley in der Zeitung «Telegraph». Die Tories sehen sich auf der Seite des oft beschworenen kleinen Mannes. «In der Konservativen Partei hören wir auf echte Menschen, nicht auf linke sogenannte Wohltätigkeitsorganisationen und Aktivisten», sagte Anderson.

Tories als Opfer politischer Korrektheit?

Seit 13 Jahren sind die Konservativen in Großbritannien an der Regierung. Doch immer wieder zeigen sie sich als Opfer einer angeblich vornehmlich linken Gesellschaft, die eine politisch überkorrekte Sprache durchsetzen würde. «Seit Jahren erleben wir, wie Menschen ihren Job verlieren, zum Schweigen gebracht werden oder dass gegen sie von der Polizei ermittelt wird, weil sie online etwas «Unangemessenes» geäußert haben», schrieb die konservative Zeitschrift «Spectator» jüngst. «Wir leben heute nicht nur in einer Kultur der Zensur, sondern auch der Selbstzensur, in der die Menschen Angst davor haben, im Alltag ihre Meinung zu sagen.»

Gegner werfen den Konservativen Doppelmoral vor. Sie kritisierten angebliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit, gingen aber selbst hart gegen diejenigen vor, die anderer Meinung seien. So hat die Regierung zuletzt wiederholt das Demonstrationsrecht verschärft. Nun kann die Polizei bereits gegen Menschen vorgehen, von denen sie annimmt, dass sie öffentliche Veranstaltungen stören könnten. Bis zur Parlamentswahl dürfte der britische «Kulturkampf» noch zunehmen.


Bildnachweis: © Frank Augstein/AP/dpa
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