4. April 2024 / Aus aller Welt

Indigene erklären Wale zu juristischen Personen

Der Gesang der Wale ist ein Barometer für die Gesundheit der Weltmeere. Aber ihre Lieder verstummen immer mehr. Maori und andere indigene Völker ergreifen deshalb eine außergewöhnliche Initiative.

Indigene Völker im Südpazifik haben eine besondere Verbindung zu Walen.
von Carola Frentzen, dpa

Für die Ureinwohner Neuseelands sind Wale mehr als Tiere. Die Maori sehen eine direkte Verbindungslinie zwischen sich und den Meeressäugern und betrachten sie als ihre Vorfahren. Als Verwandte. Bei ihren Reisen über die Ozeane wurden sie laut Überlieferung einst von Tohorā (so das Maori-Wort für Wale) beschützt. Heute sehen sich die Maori selbst als Hüter der bedrohten Giganten. Auch anderen indigenen Inselbewohnern im Südpazifik - speziell in Polynesien - gelten Wale als heilig. Einige ihrer Anführer haben sich nun zusammengetan, um den Tieren einen neuen Status zu verleihen: den einer juristischen Person.

Vor wenigen Tagen wurde auf Rarotonga, der größten der Cookinseln, eine entsprechende Vereinbarung mit dem Namen «He Whakaputanga Moana» - Deklaration für den Ozean - unterzeichnet. An der Zeremonie nahmen neben dem Maori-König Tuheitia Paki auch mehr als ein Dutzend hochrangige Vertreter der Ureinwohner der Cookinseln und von Tahiti teil. Ihre Hoffnung ist, dass sich andere Inseln der Region der Initiative anschließen und sich ein solcher Schritt am Ende auch international durchsetzen kann. Das Ziel: Eine Grundlage zu schaffen, um Wale weltweit besser schützen zu können.

Indigene gelten als Hüter der Erde

«Der Gesang des Liedes unserer Vorfahren ist schwächer geworden, und ihr Lebensraum ist bedroht, weshalb wir jetzt handeln müssen», sagte König Tuheitia Paki. «Wir können nicht länger die Augen verschließen. Wale spielen eine entscheidende Rolle für die Gesundheit unseres gesamten Meeresökosystems.» Der Rückgang ihrer Populationen störe das empfindliche Gleichgewicht, auf dem alles Leben im Pazifik basiere. «Wir müssen dringend handeln, um diese großartigen Kreaturen zu schützen, bevor es zu spät ist.»

Die indigenen Völker gelten als Hüter der Erde, weil sie in enger Verbindung zur Natur leben und das Leben insgesamt in einem großen kosmischen Zusammenhang sehen. In ihrem Glauben ist alles Lebendige miteinander verbunden. Indigene Völker seien die besten Verbündeten zum Schutz der Natur, heißt es in einem Bericht der Umweltstiftung WWF. «Über Generationen haben sie unschätzbares Wissen über die Natur und ihre nachhaltige Nutzung gesammelt.» Aber die globale Gier nach Ressourcen bedrohe diese Völker genauso wie die Ökoregionen, in denen sie leben.

Wale sind wichtige Klimaschützer

Die Meeressäuger sind nicht nur durch Klimawandel, Umweltverschmutzung, Lärm oder die Kollision mit Schiffen gefährdet, sondern auch durch den kommerziellen Walfang. Arten wie der Blauwal, der Grönlandwal oder der Westpazifische Grauwal gelten bereits als stark gefährdet und drohen, bald auszusterben.  

Gleichzeitig sind Wale wichtige Klimaschützer: «Sie durchmischen Nährstoffe im Meer und fördern durch ihre Ausscheidungen das Wachstum von Phytoplankton, das mehr als die Hälfte des weltweiten Sauerstoffs produziert», heißt es auf der Webseite der Organisation Whale and Dolphin Conservation (WDC). Ihre Körper dienten als riesige Kohlenstoff-Speicher und seien nach ihrem Tod eine wertvolle Nahrungsquelle für das Leben in der Tiefsee.

«Überall im Pazifik lebten indigene Völker seit jeher im Einklang mit dem Ozean», schrieb die Maori-Umweltschützerin Mere Takoko zu der nun unterzeichneten Erklärung im Klima- und Kulturmagazin Atmos. Das Meer sei nicht nur eine Nahrungsquelle, «sondern ein lebendiger Vorfahre, ein Wissensspeicher, der über Generationen weitergegeben wird». Und Wale seien mehr als nur Ressourcen, die ausgebeutet werden müssen: «Sie sind auch fühlende Wesen und unsere Vorfahren.»

Bisher kein verbindlicher Vertrag

Aber was umfasst ein juristischer Status? Laut Takoko geht eine solche Maßnahme weit über traditionelle Schutzmaßnahmen hinaus, weil Wale so als Personen mit inhärenten Rechten anerkennt werden. «Dazu gehören das Recht auf Bewegungsfreiheit, auf eine gesunde Umwelt und darauf, Seite an Seite mit der Menschheit zu gedeihen.» Würde ein Schiff einen Wal verletzen oder gar töten, würde dies vermutlich mit hohen Geldstrafen verbunden sein. Versicherungen könnten dann etwa von den Eignern verlangen, spezielle Überwachungs- oder Antikollisions-Geräte zu installieren. 

Die Erklärung sei zwar bisher kein verbindlicher internationaler Vertrag, habe aber dennoch erhebliches Gewicht, ist Takoko überzeugt. So gebe es bereits eine weltweite Diskussion über den rechtlichen und ethischen Status von Walen. Und das Konzept sei auch nicht neu, sondern inspiriert vom «Te Urewera Act» von 2014 - der Neuseeland zu einem Vorreiter im Umweltschutz machte.

Damals hatte das Parlament das Waldgebiet Te Urewera auf der Nordinsel zur juristischen Person erklärt und ihm alle damit verbundenen fundamentalen Rechte zugesprochen. 2017 folgte der Whanganui River, der drittlängste Fluss des Landes. Dieser wird nun als ein unteilbares und lebendiges Ganzes anerkannt, was seinen gesamten Verlauf von den Bergen bis zum Meer und alle seine physischen und metaphysischen Elemente umfasst. Erst im vergangenen Jahr erhielt auch der Berg Taranaki Maunga den gleichen Status eines Rechtssubjekts.

Menschen im Krieg mit der Erde

«Die Lieder der Wale sind mehr als nur betörende Melodien: Sie sind ein Barometer für die Gesundheit des Ozeans», brachte es Takoko auf den Punkt. «Ihr Diminuendo ist ein Weckruf.» Die Menschheit müsse wieder von einer Weltsicht der Ausbeutung zu einer Weltsicht des Zusammenlebens übergehen. 

Oder wie Oren R. Lyons, bekannter Umweltaktivist des indigenen Stammes der Onondaga, es bei einer viel beachteten Rede auf dem UN-Friedensgipfel im Jahr 2000 formulierte: «Es kann keinen Frieden geben, solange wir Krieg gegen unsere Mutter, die Erde, führen.» Verantwortungsvolle und mutige Maßnahmen müssten ergriffen werden, damit die Menschheit wieder mit den Naturgesetzen in Einklang lebe.


Bildnachweis: © Maxi Jonas/AP/dpa
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