7. Mai 2023 / Aus aller Welt

Puzzeln für Profis: Wie konnte der Aquadom platzen?

In einer Lagerhalle in Brandenburg soll ermittelt werden, warum ein Berliner Riesenaquarium zu Bruch ging. Die Arbeit gleicht echter Detektivarbeit. Eine gute Nachricht gibt es schon jetzt.

In einer Lagerhalle werden die Bruchstücke des geborstenen Großaquariums „Aquadom“ untersucht.
von Mia Bucher, dpa

Es war ein großer Schreck, als das 16 Meter hohe Riesenaquarium in den frühen Morgenstunden des 16. Dezembers mitten in der Berliner Innenstadt zerbarst. Etwa eine Million Liter Wasser ergossen sich in die Umgebung des Hotels nahe des Alexanderplatzes, in dessen Lobby das Aquarium stand. International sorgte das Unglück für viel Aufmerksamkeit.

Es kann von Glück gesprochen werden, dass neben zwei Leichtverletzten niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist. Neun Tonnen wog das größte der insgesamt mehr als 700 Bruchstücke. Von den 1500 Fischen hingegen starben fast alle. Nach dem Unglück wurde viel über die Ursache spekuliert: War es Materialermüdung? Kleine Risse an der Oberfläche? Oder vielleicht Temperaturschwankungen?

In einer Lagerhalle in Brandenburg versucht ein Team aus Ingenieuren im Auftrag der Firma, der die Hotelimmobilie gehört, in akribischer Kleinstarbeit herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Dafür setzen sie die Bruchstücke möglichst so zusammen, wie sie ursprünglich angeordnet waren. «Wir machen es wie bei einem Puzzle: Mit den Ecken fängt man an», sagt Ingenieur Robert Kirchner. Da ein Zylinder aber nun mal keine Ecken habe, verwendeten sie andere Merkmale und arbeiteten sich vom Rand zu Mitte vor.

An einem warmen Frühlingstag im Mai steht der Spezialist für Material- und Bauteilprüfung inmitten der riesigen Bruchstücke, die aussehen wie gläserne Eisschollen. Je nach Form haben die Mitarbeiter ihnen liebevolle Spitznamen geben - wie «der Zahn» oder «der Schwinger», ein wellenförmiges Bruchstück.

Gemeinsam mit einem weiteren Ingenieur und mehreren Hilfskräften arbeitet Kirchner seit mehreren Monaten in Vollzeit an der Rekonstruktion des Aquariums. Unterstützung bekommen sie durch den Ingenieur und Kunststoffexperten Christian Bonten, der im regelmäßigen Austausch mit dem Team vor Ort steht. Bonten wird am Ende das Gutachten über die Unglücks-Ursache schreiben - das spielt auch eine Rolle bei der Kostenübernahme durch die Versicherung. Die Schadenserfassung sei «die Königsdisziplin» der Ingenieure, sagt Bonten.

Dabei müsse man vorgehen wie ein Detektiv. In einem ersten Schritt wurde noch am Unfallort die genau Position der Bruchstücke bestimmt und eine Karte erstellt. Das erleichtere die Rekonstruktion in der Lagerhalle. Dort wird der Zylinder seit einigen Wochen Stück für Stück wiederhergestellt. Allerdings nicht in dreidimensionaler Form, sondern auf dem Boden liegend, als würde man ihn ausrollen, erklärt Bonten.

Bisher haben die Experten etwa die Hälfte der Bruchstücke erfasst. «Geduld ist nicht unbedingt ein Adjektiv, das mich beschreibt», sagt Kirchner und lacht. Dabei braucht es für die Rekonstruktion des Aquariums davon eine ganze Menge. Jedes Teil wird auf den Millimeter genau digital erfasst - Dicke und Krümmung des Acrylglases oder etwa Bruchlinien geben Aufschluss darüber, wohin das Bruchstück gehört. Stück für Stück setzt sich so das Puzzle zusammen. Parallel suchen die Ingenieure nach Auffälligkeiten an den Bruchstücken, die Rückschlusse auf die Ursache ermöglichen.

Können die Experten inzwischen schon etwas über Ursache des Platzens sagen? «Nein, wir machen hier Detektivarbeit und dürfen uns dabei nicht zu früh festlegen», sagt Bonten. Eine Erklärung können sie zum derzeitigen Zeitpunkt demnach offiziell noch nicht bieten. Die Ursache könne aber an vier unterschiedlichen Faktoren liegen: einer Fehlnutzung, einer fehlerhaften Konstruktion, einer fehlerhaften Herstellungsweise oder einem fehlerhaften Werkstoff. Von einer Fehlnutzung spreche man etwa dann, wenn sich zu viel Wasser im Aquarium befunden hätte, erklärt der Ingenieur. Das könne aber im Fall des Aquadoms ausgeschlossen werden.

Potenzielle Schwachstellen sind laut Bonten prinzipiell die Fugennähte. Das sind die Stellen, an denen die einzelnen Teile des Aquariums während des Baus zusammengesetzt wurden. Denn bereits vor dem Unglück bestand der Zylinder nicht aus einem einzelnen großen Stück Acrylglas, sondern aus mehreren zusammengesetzten Teilen. Für das bloße Auge ist das kaum erkennbar. «Die Art und Weise, wie der Kunststoff an den Fugennähten, aber auch das Acrylglas selbst gebrochen ist, kann uns Hinweise auf den Schadenshergang geben», erklärt Bonten. Bis Mitte Juli soll die Untersuchung abgeschlossen sein. Dass die Ursache des plötzlichen Auseinanderbrechens eindeutig festgestellt werden könne, kann Bonten nicht versprechen.

Für die Gebäudeeigentümer des Berliner Hotels, das in diesem Jahr noch nicht wiedereröffnen soll, steht inzwischen fest: Einen Aquadom 2.0 wird es in der Immobilie nicht geben. «Es war ein Besuchermagnet», sagt Sprecher Fabian Hellbusch rückblickend. Der Bau eines neuen Beckens sei zu teuer. Eine Neugestaltung der Hotellobby sei in Planung.

Eine positive Nachricht gibt es schon jetzt: Von den rund 630 Fischen, die aus unterirdischen Becken gerettet werden konnten, haben fast alle überlebt. Sie sind in die Aufzuchtstation zurückgekehrt oder bei privaten Aquaristen sowie im Zoo Berlin untergekommen. Es gehe ihnen sehr gut, sagte eine Zoo-Sprecherin.


Bildnachweis: © Michael Bahlo/dpa
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