22. Juli 2023 / Aus aller Welt

Tiefseebergbau: Folgenreiche Frage bleibt unbeantwortet

Die Staatengemeinschaft hat bei der Internationalen Meeresbodenbehörde die Entscheidung über Regularien für den Tiefseebergbau vertagt. Für das Ökosystem steht immer noch viel auf dem Spiel.

Manganknollen entstehen in in 4000 bis 6000 Metern Tiefe.
von Nick Kaiser, dpa

Der kommerzielle Abbau von Rohstoffen am Boden internationaler Meere birgt Gefahren noch nicht absehbaren Ausmaßes für das dortige Ökosystem - dringende Gespräche zum Umgang mit dem Tiefseebergbau sind nun ohne verbindliche Entscheidungen zu Ende gegangen.

Zum Abschluss der zweiwöchigen Sitzung des Rats der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) vereinbarten die 36 Mitgliedstaaten am Freitagabend (Ortszeit) lediglich das Ziel, im Jahr 2025 ein Regelwerk zu verabschieden.

Auch dafür, wie über Tiefseebergbau-Anträge zu entscheiden ist, die nun erstmals bei der ISA gestellt werden können, wurde keine konkrete Lösung beschlossen. Vielmehr wurde nach späten Diskussionen hinter verschlossenen Türen am letzten Sitzungstag vereinbart, sich erst darüber zu verständigen, wenn ein Antrag eingehen und noch kein Regelwerk - ein sogenannter Mining Code - stehen sollte.

Nach der Frist ist vor der Frist

Einen Tag vor Beginn der Sitzung, am 9. Juli, war eine Frist abgelaufen, den Tiefseebergbau zu regulieren. Als Sponsor eines Tochterunternehmens des kanadischen Konzerns The Metals Company (TMC) hatte der Pazifikstaat Nauru zwei Jahre zuvor angekündigt, einen Abbauantrag zu stellen, und damit nach einer Klausel des UN-Seerechtsübereinkommens (Unclos) die Frist ausgelöst. Nach dem Verstreichen der Frist müssen Anträge von der ISA bearbeitet werden, auch wenn es keinen Mining Code gibt.

«Durch weiteres Aufschieben setzt sich der Rat im Umgang mit zukünftigen Anträgen selbst unter immensen Druck», sagte Greenpeace-Meeresexperte Till Seidensticker. «Der Tiefseebergbau ist zumindest vorläufig ausgebremst», meinte Tim Packeiser, Experte für Tiefseebergbau beim WWF Deutschland. Bei der Sitzung hätten die ISA-Mitgliedstaaten deutlich gemacht, keine Tiefseebergbau-Vorhaben genehmigen zu wollen, solange es kein robustes Regelwerk gebe.

Weder Nauru noch ein anderes Land hat bisher einen Antrag gestellt. Gegen ein Vorpreschen spricht wohl vor allem, dass staatliche Sponsoren von Bergbauunternehmen auch ohne Mining Code - der per Konsens angenommen werden muss - nach internationalem Recht für etwaige Schäden haftbar gemacht werden könnten. Das legte der Experte Pradeep Singh vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit des Helmholtz-Zentrums Potsdam kürzlich in einem Diskussionspapier dar.

Nach dem Unclos, das 1994 in Kraft trat und aus dem der ISA entstand, gehört der Tiefseeboden zum Gemeinsamen Erbe der Menschheit, und die Nutzung der dortigen Ressourcen muss zum Wohle der Menschheit geschehen. Auf dem Spiel stehe, «dass die Behörde in die Enge getrieben wird, unregulierten Bergbau zuzulassen», schrieb Singh, «und zwar gegen den Willen der meisten Mitgliedstaaten und gegen das beste Interesse der Menschheit insgesamt.»

Der WWF teilte mit, Nauru und andere Staaten hätten durchblicken lassen, dass sie auf das Einreichen von Anträgen verzichten würden, wenn es ein klares Zieldatum für die Fertigstellung eines Regelwerks gäbe. Die dabei bisher erzielten Fortschritte seien überschaubar, sagte Packeiser. «In allen Kapiteln bleiben viele Themen offen und auch Grundsatzfragen strittig.» Aus Sicht der Umtweltstiftung müssten vor allem noch Forschungslücken geschlossen werden.

Wofür wird Tiefseebergbau benötigt?

Konkret geht es um den Abbau sogenannter Manganknollen auf dem Meeresboden in 4000 bis 6000 Metern Tiefe. Sie entstehen über Millionen Jahre aus Ablagerungen und enthalten Rohstoffe wie Mangan, Kobalt, Kupfer und Nickel, die in der Herstellung von Batterien etwa für Elektroautos verwendet werden könnten. Auf den Knollen wachsen Schwämme und Korallen, die Lebensraum für zahlreiche weitere Tiere bieten. Für TMC sind Manganknollen «Batterien in einem Stein» und der «sauberste Weg zu Elektrofahrzeugen».

Untersuchungen des europäischen Forschungsprojekts MiningImpact über die Bergbau-Tests von TMC und des belgischen Unternehmens GSR am Meeresboden in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) im Pazifik zwischen Mexiko und Hawaii stellen das infrage. Deren Panzer-ähnliche «Kollektoren» saugen demnach nicht nur die Knollen auf, sondern auch alle Organismen, die auf ihnen sowie in und auf dem Sediment leben.

Zudem richte die entstehende Sedimentwolke großflächige Schäden an. Weitere Studien warnen vor Gefahren für Wale durch Lärm und für Menschen durch die Radioaktivität der Knollen.

Nach Berichten des WWF und des Öko-Instituts im Auftrag von Greenpeace ist der Tiefseebergbau für die Energie- und Verkehrswende nicht unbedingt nötig. Laut einem Bericht im Fachmagazin «Current Biology» vom Mai sind rund 90 Prozent der geschätzt 6000 bis 8000 Tierarten in der CCZ noch unerforscht.

Die Haltungen der Länder

Deutschland plädiert für eine vorsorgliche Pause beim Tiefseebergbau, bis die Umweltfolgen besser erforscht sind. Gut 20 Länder haben sich inzwischen für eine solche Pause, ein Moratorium oder ein Verbot ausgesprochen. China hat Interesse am Tiefseebergbau signalisiert. In Norwegens Parlament soll demnächst ein Regierungsvorschlag diskutiert werden, eine Fläche der eigenen Gewässer fast von der Größe Italiens zu nutzen, um Rohstoffe für die Energiewende zu gewinnen.

Trotz des Verschiebens der Frist für den Mining Code steht bei einer ISA-Vollversammlung in der kommenden Woche laut Seidensticker von Greenpeace eine spannende Entwicklung an: Dort soll ein mögliches Moratorium des Tiefseebergbaus debattiert werden. «Wir brauchen dieses Moratorium, um zu verhindern, dass ein neuer Industriezweig diesen einzigartigen Lebensraum ohne Sinn und Verstand ausbeutet.»


Bildnachweis: © picture alliance / dpa
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